Mittwoch, 10. Oktober 2012

All The Lovely Birds

Eine Kindergeschichte




Hinter bunten Blumen und grünen Wäldern, unter blauem Himmel, direkt am Meer, freuen sich die Vögel des sonnigen Tages.
Es zwitschert hier im Paradies, doch nicht mehr lang’.

Der Rote ist’s, der sich aufplustert.
»Seht her! Ich bin der prächtigste Vogel, den es gibt! Rot wie die Rose! Heiss wie das Feuer! Glänzend wie ein geschliffener Rubin! Ich bin die Liebe, die nach mir benannt wurde. Die Leidenschaft. Ein Flächenbrand.«

Es ist, als hätt’ die Sonne sein Gemüt überhitzt. Erstaunte Augen wo er hinschaut.

Doch der Grüne drängelt ihn zur Seite.
»Doch was wäre die Liebe ohne mich? Mein Gefieder leuchtet wie ein fein geschliffener Smaragd. Ich trage die Farbe des Waldes und der Wiesen auf mir. Die Hoffnung hat mich auserlesen. Keine Liebe ohne Hoffnung. Ich bin der Sauerstoff, den ihr alle atmet.«

Ein Knicks vor der falschen Bescheidenheit.

Doch der Gelbe ist empört.
»Wie kommt ihr darauf zu behaupten, die prächtigsten zu sein? Wie tausend Sterne in der Nacht, leuchtet meine Pracht am Tag. Kleine geschliffene Edelsteine, Citrine, lassen meine Federn schimmern, als wären sie vom Tau bedeckt. Ich leuchte wie die Sonne selbst, die euch Früchte wie Zitronen oder Sonnenblumen schenkt. Ich bin himmelsgleich.«

Gesagt und nach oben gezeigt.

Doch der Blaue widerspricht.
»Nicht so schnell! Himmelsgleich? Wenn, dann bin das ich. Meine Federn leuchten wie das Firmament, Lapislazuli, ja wie die tiefen blauen Ozeane. Die Weltmeere tragen meinen Namen und der Himmel spiegelt sich in ihnen wieder und immer wieder.«

Da bricht ein grosser Streit vom Zaun.
Der Rote trägt noch dicker auf.
Der Grüne beginnt zu schubsen.
Der Gelbe empört sich der Dreistigkeit.
Der Blaue widerspricht.

Da taucht ein schwarzer Vogel auf.
»Ich sehe nicht euer Problem. Für mich seht ihr alle gleich aus.«

Der Rote ruft beleidigt:
»Halt dich da raus! Du bist doch bloss eifersüchtig. Was verstehst du schon von der Liebe.«

Der Grüne ruft überheblich:
»Oder von der Hoffnung? So wie du aussiehst, bleibt dir wohl keine Hoffnung mehr auf Farbe. Du bist weit davon entfernt uns ebenbürtig zu sein.«

Der Blaue ruft besserwisserisch:
»Du siehst aus, als wärst du aus einem Kohlebergwerk geschlüpft. Wie willst du also verstehen, worum es hier geht? Du bist niemand. Du trägst keine Farbe.«

Der Gelbe ruft abschliessend:
»Da kannst du noch lange Richtung Sonne fliegen. Eher verbrennst du, als dass dein Gefieder anfängt so wunderschön zu leuchten wie unseres. Was dich erschaffen hat, muss blind gewesen sein.«

Unbeeindruckt kontert der schwarze Vogel:
»Seht ihr nicht, wie ihr euch von etwas abhängig macht, das ihr nicht kontrollieren könnt. Bald geht die Sonne unter. Sie verschwindet jeden Tag. Eure Herzen schlagen aber auch nachts. Was ihr glaubt zu sein, findet nur im Licht des Tages statt.«

Verdatterte Gesichter starren ihn an.

»Nennt mich Nacht oder Dunkelheit. Doch wenn die Sonne verschwindet, verliert ihr eure Farben. Ich brauche mich nicht dafür anzustrengen, euch ebenbürtig zu sein. Mit der Nacht werdet ihr zu meines gleichen. Niemand sieht eure Farben, oder das, was ihr angestrengt versucht zu sein. Wie blind hat euch die Dunkelheit gemacht? Wir tragen alle dieselben Federn. «

Sagt er und fliegt davon in die Nacht.